Details Theater-AG Maria Ward-Schule Mainz |
Der Drachenthron
Wolfgang Hildesheimer
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Aufführungstermine
22. Mai 2003, Gewölbekeller der MWS23. Mai 2003, Gewölbekeller der MWS 27. Mai 2003, Gewölbekeller der MWS 28. Mai 2003, Gewölbekeller der MWS |
Mitwirkende
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Jahrbuch MWS
Im Gewölbekeller sitzen die Zuschauer im weiten Halbkreis um die Bühne,
die in Stufen nach oben gebaut ist. Oben steht ein großes mit roter Seide
verhülltes Gebilde. Zu Beginn wird die Verhüllung weggezogen - es ist der
Drachenthron.
Doris Kaiser macht die Beschränkungen, die der Gewölbekeller ihren Inszenierungen
auferlegt, zu Vorteilen. Umbauten und verschiedene Bühnenbilder sind kaum
möglich, wie sich in diesem Jahr wieder zeigt, auch nicht nötig. Hildesheimer
nennt seine Bearbeitung des Stoffes ja nicht wie Gozzi, Schiller, Puccini,
Busoni und Brecht "Turandot", sondern "Der Drachenthron". Der Thron spielt
die wichtigste Rolle, er ist immer präsent.
Die Theater AG hat Hildesheimers Stück genau gelesen und die Bedeutung des
Thrones und die Beziehungen der Figuren zu diesem Thron herausgearbeitet.
Wie man sich diesem Thron nähert, wie man sich auf ihn setzt oder nicht setzt,
wie man ihn umkreist, ihn berührt, sich hinter ihm versteckt erzählt viel über
die handelnden Personen und ihre Motivationen. In den anderen Stücken, die
sich mit diesem Stoff beschäftigen, geht es immer um Turandot, die wunderschöne,
geheimnisvolle Prinzessin, deren Besitz so erstrebenswert ist, dass sich Prinzen
um sie bewerben und sogar ihr Leben riskieren. Hildesheimer ist dieser
Stofftradition gegenüber skeptisch; bei ihm wollen die Prinzen den Thron, der
leider nur über Turandot zu erreichen ist. Aber auch der Kanzler Chinas benutzt
den Kampf um Turandot dazu, den scheiternden Prinzen nicht nur das Leben,
sondern auch das Reich zu nehmen. Von beiden Seiten geht es um den Thron: die
freienden Prinzen wollen den Thron über Turandot, der Kanzler Hü vergrößert
durch die Schönheit Turandots das chinesische Reich und macht den Thron noch
attraktiver.
Die Regie arbeitet die Figuren ganz klar heraus, und die Schülerinnen folgen
mit großer Spielfreude. Die "wissenden" Figuren, die das Spiel durchschauen,
Hü, Pnina, der echte und der falsche Prinz, sind sehr genau von den Figuren,
die sich mit Überlieferungen und Traditionen zufrieden geben abgesetzt: Kaiser,
Richter Priester und Zeremonienmeister. Dazwischen steht Turandot. Saskia Ditsch
spielt sehr eindrucksvoll die arrogante Prinzessin, die sich für die Drahtzieherin
hält und erst merkt, wie sie benutzt wird, als es zu spät ist. Turandot gefällt
die Rolle als begehrte Schönheit so gut, dass sie sich für den Hauptpreis hält,
die anderen halten sie für die mehr oder weniger lästige Zugabe. In der großen
Prüfungsszene holt sie der falsche Prinz vom Thron ihrer Arroganz, indem er ihr
die Augen öffnet, dass sie nicht die Schönste und nicht die einzig Begehrte ist.
Als sie erkennt, dass sie auch schon für die vorherigen Freier nur Mittel zum Zweck
war, fällt sie zusammen und mit ihr der ganze aufgeblasene Hof.
Diese Szene ist nicht nur der Höhepunkt in Doris Kaisers Inszenierung, sondern
auch in Hildesheimers Stück. An dieser Stelle steht sonst die große Rätselszene,
die zeigt, dass die geheimnisvolle, wunderschöne Frau im Besitz der letzten
Weisheiten ist, die nur der wahrhaft liebende Mann entschlüsseln kann. Hildesheimers
Prinzessin ist zwar schön, aber zu eingebildet um eine andere Sicht der Welt
zuzulassen, als ihre eigene. Sie verachtet die "Götter" und die, die noch an sie
glauben, aber sie hat nichts an ihre Stelle zu setzen, als sich selbst. Der falsche
Prinz, ein eloquenter Taugenichts, der Höfe und Prinzessinnen abklappert und die
Traditionen und Zeremonielle ausnutzt, schlägt Turandot mit ihren eigenen Waffen.
Er behandelt sie so respektlos, wie sie alle Welt, nur ist er immer ein bisschen
schneller als sie. So nimmt er ihr die Initiative aus der Hand, sie kann nur noch
reagieren, bis er ihr buchstäblich den Boden unter den Füßen wegzieht. Anne Kummert
spielt den von Hof zu Hof reisenden Heiratsschwindler mit großer Gelassenheit,
dass er der zickigen Prinzessin überlegen sein wird, bezweifelt der Zuschauer keine
Sekunde.
Der Kanzler Hü, der selbst den Drachenthron besteigen will, scheitert mit seinen
Rettungsversuchen. Er ist intrigant und machtgierig, mit ihm wird Turandot fertig
und lässt ihn ausschalten. Mit dem falschen und dem echten Prinzen von Astrachan
gelingt ihr dies nicht mehr. Der falsche Prinz ist ein viel zu moderner, freidenkender
Mensch, als dass er es am chinesischen Hof aushalten könnte. Turandot kann ihn
nicht dazu bewegen, ihr "den Kaiser von China zu machen", er hat zu viel Erfahrung
mit Höfen und Prinzessinnen. Es ist ein wunderbarer Regieeinfall, den Hochstapler
auf dem Thron probesitzen zu lassen, ehe er sich gegen ihn entscheidet. Er macht
sich zur nächsten Prinzessin auf.
Mit dem echten Prinzen von Astrachan bringt Hildesheimer am Ende des Stückes
noch eine ironische Pointe. Dieser, ein echter Kerl und militärisches Raubein,
setzt mit seinem lauten Kriegsgehabe die überfeinerten chinesischen Sitten
außer Kraft. Er reißt den Thron an sich, ohne sich um Turandot zu bewerben,
und nimmt sie dann zur Legitimation als Nebenfrau. Christine Huff spielt
ihn als köstliche Machoparodie.
Zwischen den Prinzen und Turandot steht Pnina, die versklavte Prinzessin. Sie
ist ebenso arrogant und zickig wie ihre Herrin, nur ohne deren Möglichkeiten ihren
Willen durchzusetzen. Sie kennt den falschen Prinzen von früher, hat Erfahrungen
mit falschen und echten Prinzen und ergreift ihre Chance. Sie wird mit Turandot
Mann und Thron teilen. Emilia Fischer findet schöne Töne, um den Ehrgeiz und
die Rachsucht der erniedrigten Frau zu charakterisieren.
All diese Ereignisse finden am chinesischen Hof statt. Die Theater - AG
illustriert diesen Hof mit bunter Seide, Drachenstickereien und Brokat. Noch
deutlicher als die leuchtenden Farben malen den Schauplatz aber die skurrilen
Typen, die diesen Hof bevölkern. An der Spitze steht Annette Rienäcker als Kaiser.
Sie spielt ihn mit feinen Nuancen der Trotteligkeit als Chef, der keine Ahnung hat
und den alle nur ausnützen, was er aber nicht bemerkt. Jana Knapp ist Hü, der
Kanzler. Sie spielt die vielschichtige Figur mit allen notwendigen Facetten. Hü
manipuliert den Kaiser, er bringt die Priester dazu, die Zeichen der Götter so
zu deuten, dass seine Angriffskriege gottgewollt erscheinen. Er kommt seinem Ziel,
dem Drachenthron immer näher. Nur in einer Sache irrt er. Er glaubt, dass er auch
Turandot manipulieren könne, weil sie ihm erlaubt ihr Bett mit ihr zu teilen. Aber
er überschätzt seine diesbezüglichen Fähigkeiten. Hüs stärkster Moment ist sein
Ende, wenn er erkennt, dass er sich verrechnet hat. Frauke Pfeiffer, Susanne
Kessel und Carina Pika spielen durch fantastische Gewänder charakterisiert, die
drei Priester. Sie sind nicht nur komisch durch ihr synchrones Höflingsverhalten,
sondern auch erschreckend, wenn sie ohne mit der Wimper zu zucken übergangslos
das Gegenteil von dem behaupten, was sie gerade als Willen der Götter verkündet
haben, wenn es denn anders gewünscht wird. Hildesheimer liefert hier einen bösen
Kommentar zur Verstrickung von Kirchen mit der Macht und der Rechtfertigung von
Angriffskriegen mit dem Willen Gottes.
Die köstlichste Figur an diesem dekadenten Hof ist Tse, der Oberrichter. Er
ist der Fachmensch schlechthin. Er führt wortreich vor, dass auch bei einer
Hinrichtung Regeln und Hierarchien einzuhalten sind. Seine Beflissenheit alles
richtig zu machen, ist so gewaltig, dass bei ihm sogar das Subalterne einen
Zug zur Größe hat. Johanna Edler spielt diese Rolle mit der nötigen Disziplin,
so dass Tse nie zur Karikatur abrutscht. Eine erstaunliche Leistung für eine
so junge Schülerin.
Weiter spielten noch Christina Grom die Sklavin Liang, Patricia Sieck des
Kaisers Pagen, Anna Clement den Zeremonienmeister und Juliane Lotz und Victoria
Olenberger die Soldaten des echten Prinzen. Sie alle sind sehr zu loben,
ebenso wie Verena Bonnkirch an der Trommel und Alexandra Körner, die Souffleuse.
"Denn Aufführungen werden nicht von der Spitze getragen, sondern von der Basis,
sie sind nicht so stark wie ihr stärkstes, sondern wie ihr schwächstes Glied",
um Hans Weigel zu zitieren. Es spricht für die Regiearbeit von Doris Kaiser,
dass in ihren Aufführungen die "kleinen" Rollen mit so viel Konzentration und
Engagement gespielt werden.
Langer und begeisterter Beifall.Wolfgang Bachtler |
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