Details Theater-AG Maria Ward-Schule Mainz |
Nagerl und Handschuh oder die Schicksale der Familie Maxenpfutsch
Johann Nestroy
|
Aufführungstermine
16. Mai 2008, Gewölbekeller der MWS20. Mai 2008, Gewölbekeller der MWS 21. Mai 2008, Gewölbekeller der MWS |
Mitwirkende
|
|
Jahrbuch MWS
La Cenerentola, Marianne Rosenberg und Harry Potter
Die Theater AG der Maria Ward Schule spielt "Nagerl und Handschuh" von Johann Nestroy.
Vor Aufführungen der Werke Nestroys außerhalb Österreichs oder ohne
österreichische Schauspieler und ohne kleines Orchester und des Singens
mächtige Darsteller wird immer gewarnt. Und dann noch die Opernparodien
mit ihren ausladenden Musiknummern, viel zu speziell, viel zu schwer!
Am Besten: Finger weg!
Wer bisher so dachte und den Dramaturgen und Theaterwissenschaftlern
glaubte, wurde von der Theater AG eines besseren belehrt.
Außer den Namen und wenigen Wörtern kommt das Stück ohne Österreichisch
aus, und die beiden parodierten Opernvorlagen - Aschenputtel ohne Bäumchen
und Tauben- muss man auch nicht kennen, um dem Stück folgen zu können.
Und die Musik, die für Nestroy komponiert wurde, muss man auch nicht
haben.
Was man allerdings haben muss sind szenische Phantasie, Spielwitz,
Musikalität und viele, viele Einfälle. Was man nicht haben darf, ist
Respekt vor dem Wort des Dichters. Aber den hatte Nestroy auch nie, wenn
er die Texte und Einfälle anderer Autoren verarbeitete. Doris Kaiser und
die Mädchen der Theater AG waren also ganz nah bei Nestroy, als sie sich
daran machten sich diese Textvorlage anzuverwandeln.
Zunächst musste das Stück, das für ein Guckkastentheater mit Flugmaschinen,
Versenkungen und fahrbaren Kulissen geschrieben ist, den Möglichkeiten
des Gewölbekellers angepasst werden - also keinen. Die Lösung heißt: Der
Firlefanz bleibt weg!
Und wie man den ganzen Abend über sieht, braucht es keine Maschinen und
keine Kulissenpracht. Genien sollen das Aschenputtel auf Rosenwolken ins
Schloss tragen? Wie man das macht? Ganz einfach: Ein Stück weißer Tüll,
wabernde Töne vom Klavier, kleine Mädchen als Kommunionbübchen mit
Flügeln, angeführt von einem unwirschen Rosenkavalier, schöner kann ein
verzaubertes Mädchen nicht durch die Lüfte zum Ball getragen werden. Und
so geht das den ganzen Abend: Ein Zauberer ist 2008 ganz aktuell, wenn er
Harry Potters Zaubersprüche benutzt und von dessen Filmmusik begleitet
wird. Und es ist doch logisch, dass Jäger, die erst elf sind, keinen
martialischen Jägerchor singen, sondern "Fuchs du hast die Gans
gestohlen"!
Doris Kaiser und ihre Schauspielerinnen mischen die Stile, springen in
den Epochen hin und her, und ersetzen die Anspielungen Nestroys, für
deren Verständnis man heute Fußnoten braucht, durch eigene Einfälle. Ist
schon die Bearbeitung des Textes und der Musik eine sehr erstaunliche
Leistung, so überzeugt die szenische Umsetzung noch mehr. Je leichter,
spielerischer, improvisierter Theater scheint, umso disziplinierter und
präziser muss es sein. Eine Aufführung wie diese, die perfekt wie ein
Spielwerk abschnurrt, verlangt höchste Konzentration, viel Probenarbeit
und vor allem eine Regisseurin, die ihre Spielerinnen richtig besetzt
und ihnen den Stil des Stückes vermitteln kann. Doris Kaiser zeigt diese
Fähigkeit schon seit Jahren an den verschiedensten Texten zur Freude und
Bereicherung des Publikums.
Antonia Regis, die Frau am Klavier, hat einen ganz großen Anteil am
Gelingen des Abends. Sie ist in allen musikalischen Richtungen zu hause,
kann auch noch singen und spielt außerdem eine kleine Rolle. Vom Klavier
aus "dirigiert" sie die Aufführung so geschickt, dass man fast nicht
bemerkt, wie sie Einsätze gibt und den Ablauf steuert. Wenn sie singt
spielt Maike Schmidt für sie Klavier, die sonst den mürrischen Obergenius
gibt.
Das Stück handelt von den Schicksalen der Familie Maxenpfutsch. Ein Vater,
der sich für die Ausstattung seiner drei Töchter ruiniert, das heißt, das
Geld reicht nur für zwei, und für Personal reicht es auch nicht, also
muss die dritte Tochter das Dienstmädchen machen, eben das Aschenputtel.
Alles Denken des Vaters und der bevorzugten Töchter kreist um zukünftige
Ehemänner, die allerdings nur dazu gebraucht werden, den Aufwand der
Töchter und die Schulden des Vaters zu bezahlen. Anja Rode stattet den
geplagten Vater mit der nötigen Dummpfiffigkeit aus, die sich weltmännisch
gibt. Patricia Sieck und Rebecca Sall als die bösen Schwestern sind eitel,
egoistisch, bösartig und zickig. Sie halten sich für Geschenke an die
Menschheit und verwundern sich sehr, dass die Männer nicht Schlange stehen,
wo sie doch so gut aussehen! Und diese hinreißenden Figuren! Einen anderen
Daseinszweck, als zu heiraten und Ehemänner auszubeuten, können sie sich
nicht vorstellen. Die beiden Mädchen haben beim Spielen offensichtlich
soviel Spaß, wie das Publikum beim Zuschauen.
Judith Maurer spielt Rosa, die miserabel gehaltene Tochter. In ihrer
Schlichtheit und Güte ist sie der Gegenpart zu ihren schrecklichen
Schwestern.
Nestroy parodiert die Geschichte so, dass Ramsamperl, der Prinz,
inkognito auftritt und sich in das schlichte, liebe Aschenputtel verliebt
und sie sich in ihn. Constanze Wriedt spielt diesen positiven jungen
Mann, der um seiner selbst willen geliebt werden will, sehr glaubhaft.
Er verliebt sich nicht in die tolle Frau auf dem Ball, die er dann im
Aschenputtel versteckt findet, er liebt Rosa, die einfache Magd, weil sie
sich von den Frauen, die er sonst kennt, unterscheidet und will sie
heiraten. Die Geschichte könnte somit zu Ende sein.
Aber wie Rosa ihre schreckliche Familie, so hat der Prinz seinen Hof. Vor
allem hat er seinen Erzieher, den Zauberer Semmelschmarrn. Und dieser,
ein Fachmensch, der auf seine Unfähigkeit stolz ist, besteht auf den
Klischees der Märchenhandlung. Dorothee Jochimsen verliert nie ihre Würde,
auch ihre schlimmsten Fehler bringen sie nicht aus der Ruhe, - man wird
ja mal einen Zauberstab verwechseln dürfen. Vor allem aber gibt es an
diesem Hof neben einem Lakaien, Teresa Pika, einem Herold, Antonia
Regis, kleinen Jägern und Ballgästen den Reitknecht Kappenstiefel, mit
dem der Prinz die Rolle tauscht. Dorothea Möhring darf als falscher Prinz
genüsslich die Parodie eines eleganten Herrn von Stand vorführen, und der
ist so schön! Auf seine peinliche Eloquenz, falschen Fremdwörter und
zweifelhafte Manieren fahren die närrischen Schwestern so ab, dass sie
sich um ihn prügeln, er ist ja so schön!
Der Zauberer besteht auf dem Fest, bei dem der Prinz seine Braut
aussuchen soll. Das ist bei Nestroy eine sehr lange Szene, in der er die
musikalischen Moden seiner Zeit parodiert. Auf dem Fest im Gewölbekeller
gibt es statt dessen Marianne Rosenberg, als Nachwuchssolo mit Chor,
Offenbach als Männerballett und als Höhepunkt zeigt Rosa eine
Aschenputtel - Parodie. Mit Rosa als Rosa, Marianne Rosenberg als gute
Fee, Kappenstiefel als Prinz - er ist ja so schön -und den Zwillingsjägern
als bösen Schwestern. Judith Becker, Sophie Becker und Malena Große sind
nicht nur in dieser Szene ein Gewinn für die Aufführung. Mit großer
Ernsthaftigkeit und sehr konzentriert singen und spielen sie ihre
verschiedenen Rollen und sind dabei umwerfend komisch.
Bis das Stück mit drei Ehen endet, entsteht noch ein ziemliches
Durcheinander. Der Zauberer will aus Rosa eine Dame machen, aber da er
natürlich die Zaubernelken verwechselt, macht er eine kokette Mondäne aus
ihr. Judith Maurer findet auch für diese Rolle die richtigen Haltungen
und Töne. Rosa entzaubert sich, flieht aus dem Palast, verliert ihren
Handschuh, wird wieder zum Aschenputtel, der Prinz sucht sie, will den
Zauberer verhauen, der zaubert mit der richtigen Nelke, Rosa wird zur
Prinzessin, der Handschuh passt, Rosa bekommt den Prinzen, und da es in
dem Stück keine anderen Männer gibt, heiratet Bella eben Kappenstiefel
und Hyacinthe den Zauberer, der Vater wird Kellermeister, gerapter
Schlusschor und Ende.
Daria Kelnhofer hat souffliert, Johanna Edler und Anja Rode haben
choreographiert, für die Beleuchtung und die Kostüme haben die
Darstellerinnen auch noch gesorgt.
Die umwerfende Komik, mit der die haarsträubenden Ereignisse auf der
Bühne dargeboten werden, verflachen nie zum Klamauk. Das liegt an den
Darstellerinnen von Rosa und Ramsamperl, die ihre Natürlichkeit und
Wahrhaftigkeit in den absurdesten Situationen bewahren und damit immer
als Gegenpart der anderen Rollen erscheinen, die ihre Figuren, die nur
auf Besitz und bürgerliche Reputation aus sind, satirisch parodieren.
Gab es schon nach der Festszene im Publikum die ersten Fälle von Atemnot
vor Lachen, so steigerte sich der Jubel am Ende zu stehenden Ovationen.
Wolfgang Bachtler |
Originaltext "Nagerl und Handschuh" im Word-Format (editierbar) Originaltext "Nagerl und Handschuh" im pdf-Format Zurück zur Übersichtsseite "Nagerl und Handschuh" Zurück zur Hauptseite Theater-AG |