Details
Theater-AG
Maria Ward-Schule Mainz
Alexander Ostrowskij
Fotos zur Aufführung
Aufführungstermine
27. Mai 2011, Gewölbekeller der MWS
31. Mai 2011, Gewölbekeller der MWS
01. Juni 2011, Gewölbekeller der MWS
Jahrbuch MWS
Der talentierte Mister Glumow

Theater-AG überzeugt auf ganzer Linie mit Gesellschaftssatire von Ostrowskij
Immer wieder verblüffend, wie aktuell und knackig frisch so ein alter Theaterschinken aus der großen Truhe auf dem Dachboden des alten Europa wirken kann. Damit das allerdings in dieser Weise funktioniert, bedarf es einiger Zutaten, die nicht immer zur Hand sind. Zunächst greift AG-Leiterin und Regisseurin Doris Kaiser beherzt zur großen Schere und schnippelt das hundert Seiten starke Textkonvolut von Alexander Ostrowskijs Erfolgskomödie "Eine Dummheit macht auch der Gescheiteste" (Uraufführung in St. Petersburg 1868) so weit zurecht, dass die Geschichte in gut neunzig Minuten über die Bühne zu bringen ist. Dann sorgt sie dramaturgisch für ein hohes Tempo - schnelle Auftritte und Abgänge, kurze, farbig-pointierte Szenen - so dass der Zuschauer schon nach einer halben Stunde ein ganzes gesellschaftliches Panorama kennengelernt hat. Und da ihr schließlich auch noch das entsprechend temperamentvolle, schwungvoll und dennoch sauber artikulierende Personal zur Verfügung steht, wird eine vollständig runde Sache aus der Inszenierung - unprätentiös und zugleich so beglückend wie der Genuss einer mittleren Mozart-Sinfonie bei einem Glas trockenen Rieslingsekt.
Die Handlung der Komödie ist einfach: Der junge, ambitionierte, aber mittellose Jegor Glumow (Dorothee Jochimsen) steigt innerhalb kürzester Zeit in die einflußreichen großbürgerlichen Kreise Moskaus auf. Diese zeichnen sich durch Scheinheiligkeit, Selbstüberschätzung und politische Rückständigkeit aus. Der wortgewandte und stilsichere Glumow, der literarische und cineastische Brüder in Guy de Maupassants "Bel Ami", Patricia Highsmiths Tom Ripley oder jüngst im skrupellosen Tennislehrer Chris Wilton in Woody Allens "Matchpoint" hat, beherrscht die Kunst des Einschmeichelns so gut wie die der Intrige. Auf eine diskursive Ebene führt die Inszenierung von Ostrowskijs entlarvender Satire vor allem, wenn sie mit Anspielungen auf aktuelle politische Skandälchen einen interessanten Unterschied zwischen früheren und heutigen Verhältnissen ausmacht. Dem traditionellen Blender und Schmeichler, Hochstapler, Erbschleicher und Heiratsschwindler bringt man aufgrund seiner vormaligen sozialen Benachteiligung ein mitunter gehöriges Maß an Verständnis oder gar Sympathie entgegen, während man verständnislos den Auftritten mancher zeitgenössischer Politiker oder Top-Manager zusieht, die schon oben stehen und dennoch immer mehr wollen, da es offenbar kein Ankunftsstadium des saturierten Oben-Seins mehr gibt. Neben der scheinbar verlässlich zeitlosen Skrupellosigkeit des Aufsteigers erscheint auch der Hang eines Teils der abgehalfterten Elite zu Esoterik und Obskurantismus bei aller Lustigkeit beklemmend aktuell.
Jegor Glumow steht jedenfalls glänzend da, eine äußerst lukrative Heirat steht in Aussicht, und in den politischen Clubs der Bourgeoisie dient er mal den Reaktionären, mal den Liberalen als Einflüsterer - scheinbar ganz ohne eigenen Standpunkt, nur seinem Fortkommen verpflichtet. Doch da erlebt er sein persönliches Wikileaks-Desaster, eine überaus peinliche Datenpanne: Das seine tatsächlichen Ansichten zu den von ihm manipulierten Mitbürgern enthaltende Tagebuch - vergleichbar den geheimen Dossiers der US-Regierung über andere Staaten - gerät ausgerechnet in die Hände der eifersüchtigen Tante Kleopatra (Rebecca Sall). Diese charismatische und jungmännerfixierte Frau in den besten Jahren sinnt auf Rache für die sie betreffenden, wenig schmeichelhaften Sätze in Glumows Büchlein. Es folgt eine große Enthüllungsszene vor Glumows versammelten Förderern und Gönnern, die das Potential zu einem tiefen Fall des zuvor Aufgestiegenen in sich birgt. Doch da wir uns nicht in einer klassischen Tragödie befinden, in der sich beleidigte Götter mit Opfern besänftigen lassen, endet das Stück mit einer feinen Pointe. Nach einer vorübergehenden Ächtung durch den Kreis der Blamierten wird man den talentierten Herrn Glumow wieder in den erlauchten Kreis aufnehmen und ihn rehabilitieren. Schließlich ist so ein geschmeidiger, charmanter wie charakterloser Karrierist in den eigenen Reihen besser aufgehoben als anderswo. Hier zeigt sich der sozialkritische Gehalt einer guten Komödie, die verdeutlicht, dass nicht der Einzelne, sondern soziale Strukturen und Verhaltensmuster für die Missstände in einer Gesellschaft verantwortlich sind.
Ein guter AG-Jahrgang, der Nullelfer - ein quicklebendiges Ensemble ohne Schwachstellen und narzisstische Anflüge. Der Text kommt den Schülerinnen leicht und sicher über die Lippen. Und vor allem wirken die Pointen nicht auswendiggelernt; vielmehr hat der Zuschauer die beim Schultheater naturgemäß nicht immer vorauszusetzende Gewissheit, dass die Schülerinnen über den Text hinaus wissen, wovon sie sprechen.Die alten Herren Krutizkij und Mamajew (Statler und Waldorf aus der Loge der Muppets-Show lassen grüßen!) werden wunderbar altherrenhaft von Maike Schmidt und Antonia Regis gespielt, so wie die bigotte "Eso-Tante" Turussina tantenhaft von Christina Becker gemimt wird. Dorothee Jochimsen und Rebecca Sall präsentieren ihre markanten Hauptrollen wie zwei gestandene Berufsmusikerinnen, die eine Partitur nicht nur beherrschen und interpretieren, sondern sich selbst bei ihrer Interpretation kritisch und zugleich genießend zusehen.
Langer, begeisterter Applaus... und der Kritiker geht als Privatmann gleich nochmal hin.
Christoph Wirges
Mitwirkende
Jegór Dmitritsch Glúmow
Dorothee Jochimsen 13Bi2
Glafíra Klimowna Glumowa Lisa-Marie Schneider 11E2
Nil Fedossejitsch Mamájew Antonia Regis 12D2
Kleopatra Lwowna Mamajewa Rebecca Sall 12Ge2
Krutízkij Maike Schmidt 12Ek2
Iwan Iwanowitsch Gorodúlin Nicola Zimmermann 11Bi2
Jegór Wassiljitsch Kurtschájew Larissa Niesen 9e
Golutwín Elisa Diesel 9e
Sofja Ignatjewna Turússina Christina Becker 11Ch2
Máschenka Malena Große 8f
Nikolay Paulina Knodel 11Ge2
Manéfa Marcena Kortsik 11Ge2
Diener bei Mamájews Paulina Knodel 11Ge2
Krutízkijs Diener
Paulina Knodel 11Ge2
Souffleuse
Katrin Rode 11E2
Klavier Antonia Regis 12D2
Marcena Kortsik 11Ge2
Lichttechnik Katrin Rode 11E2
Nicola Zimmermann 11Bi2
Paulina Knodel 11Ge2
Bühnenbild, Kostüme
Theater-AG
Plakat Dorothee Jochimsen 13Bi2
Doris Kaiser
Textbearbeitung
Theater-AG
Regie
Doris Kaiser
 

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