Details Theater-AG Juni 2014 Maria Ward-Schule Mainz |
Die Fliegen
Jean Paul Sartre
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Fotos zur Aufführung
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Aufführungstermine
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13. Juni 2014, Gewölbekeller der MWS
17. Juni 2014, Gewölbekeller der MWS 18. Juni 2014, Gewölbekeller der MWS |
Jahrbuch MWS
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Sartre: Entstaubt und gerettet! Die Theater-AG der Maria Ward Schule spielt "Die Fliegen" von Jean Paul Sartre
In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts beschäftigten sich das Theater und die Oper wieder mit den Stoffen der antiken Mythen und zwar überall auf der Welt. Besonders beliebt und oft neu interpretiert ist der Mythos von Elektra und Orest, die ihre Mutter töten, um deren Mord an ihrem Vater zu rächen. Dabei wird der Stoff in verschiedene Milieus verlegt, von O`Neill sogar in den amerikanischen Bürgerkrieg: "Trauer muss Elektra tragen" 1931. Auch der französische Philosoph und Schriftsteller Jean-Paul Sartre wählt diesen Stoff für sein erstes Theaterstück: "Die Fliegen" 1941. Er verlegte die Handlung wieder ins Griechenland der Antike und wollte sein Werk als politisch - aktuelle Parabel gewertet sehen.
Eigentlich kann man dieses Stück nicht mehr spielen. Wer es zu lesen versucht, muss sehr viel Willenskraft aufbringen, um sich durch den langen, trockenen Text zu arbeiten. Hier sprechen nicht Menschen miteinander, sondern sie entrollen Spruchbänder aus philosophischen Seminaren. Und immer wieder die gleichen. Das Elend in Argos als Folge des Königsmords, die Häufung des Selbstekels, die Reue des Königspaars, die auf das ganze Volk übertragen wird, die Unterdrückung durch Staat und Kirche, Gott und König werden mit vielen Worten seitenlang ausgebreitet, wo wir es doch schon beim ersten Mal begriffen haben.
Doris Kaiser hat den überlangen Text gestrichen, beherzt und energisch. Sie hat das Stück entstaubt und dadurch gerettet. Von den vier Stunden, die die deutsche Erstaufführung 1948 dauerte, bleiben nur knapp 100 Minuten, das genügt.
Die Spielerinnen der Theater- AG haben die vielen Rollen, die das Stück hat, mit Mehrfachbesetzungen bewältigt. Am Ende sieht der Zuschauer staunend, es sind nur vierzehn, eigentlich nur dreizehn, denn Sylvia Michna, die engagiert ein Kind spielt, kann nicht in andere Rollen schlüpfen, sie ist noch zu klein. Die Schauspielerinnen halten die Rollen so gut auseinander, dass der Wechsel während des Spiels gar nicht auffällt. Dies ist umso bemerkenswerter, da alle Kostüme schwarz sind, die Figuren müssen also mit spielerischen Mitteln geschieden werden. Auch die verschiedenen Schauplätze werden zusammengefasst und die Statuen von Jupiter und Apoll zu einem "Wendegott" vereint: Schwarz Jupiter, weiß Apoll. Die kosmischen Zaubereien, mit denen Jupiter Orest beeindrucken will, sind gestrichen. Sogar den titelgebenden Fliegen wird jedes Gesumm und jede Andeutung einer Insektenmaske verweigert, sie treten als Erinnyen, als Rachegöttinnen auf, schwarze Tüllschleier sind das Einzige, was sie von den Menschen unterscheidet.
Dass die Aufführung trotz der Schwächen des Stücks so gut gelingt, liegt an den Persönlichkeiten und dem Engagement der Schülerinnen, den konsequenten Strichen und der kompetenten Regie. Auch dieses Jahr ist der scheinbare Nachteil des Maria-Ward-Theaters - nur Mädchen, alle ungefähr gleich jung, der Theaterkeller mit seinen räumlichen Beschränkungen - ein Vorteil. Der Theaterraum zwingt zur Konzentration. Man sitzt ganz nah an der Bühne, alle Auftritte gehen durch das Publikum und beziehen es in das Spiel mit ein. Mit ihrer Jugend und ihrem Engagement setzen die Spielerinnen dem spröden Denkgerippe Sartres Leben und Vitalität an.
Schon der Anfang zeigt den Zugriff der Regie. Die erste Szene zeigt die unterwürfige Verehrung der Jupiterstatue. Doris Kaiser stellt Elisa Diesel, die Jupiter spielt, vor seine Statue. Schon dieser erste Auftritt, den es bei Sartre gar nicht gibt, zeigt, dass Jupiters Autorität nur Bestand haben kann, weil die Menschen in Angst und Verzweiflung gehalten werden. Im schwarzen Ledermantel, wie ein Mafioso gekleidet, gibt Elisa Diesel eine sehr überzeugende Darstellung von angemaßter Macht und Größe. Einer der Höhepunkte der Aufführung ist Jupiters Dialog mit Ägist. Gott und Herrscher brauchen die Verzweiflung der Menschen, um die Fiktion ihrer Existenz weiterfristen zu können. Göttliche Lüge und staatliche Lüge halten die Menschen in Angst und nutzloser Reue. Helena Wang spielt Ägist. Da gar nicht versucht wird, ihn als alten verkommenen Mörder darzustellen, bekommt der Dialog eine große Deutlichkeit und Schärfe. Marie-Claire Hihn ist Klytämnestra, die ehebrecherische Mörderin. Sie spielt sie mit großer Würde und Konzentration. Ihre Ermordung nimmt sie hin, als ob sie auf sie gewartet hätte.
Layla Liliana Simon gibt den Großen Priester, in bigotter Dummheit verhärtet. Davina Meyer, Marie Leonie Schnaubelt, Alina Heider, Natalie Schwabl, Charlotte Köhler und Sylvia Michna spielen das Volk von Argos: Männer, Frauen, ein Kind, alte Frauen, junge Frauen, und Wachen. Alina Heider, Davina Meyer und Natalie Schwabl spielen auch die "Fliegen", die in dieser Aufführungen nicht von den Erinnyen geschieden werden.
Larissa Niesen spielt Orest. Mit seinem Pädagogen, dessen Überforderung durch die Situation in Argos Theresa Stroh deutlich macht, kommt er als Tourist in seine Heimatstadt. Schon ihre Kleidung macht sie zu Außenseitern. Die ganze Bildungshuberei, die der Autor in den ersten Szenen ausbreitet, ist gestrichen. Zielstrebig steuert die Aufführung auf die Konfrontation von Orest mit Elektra und den Mördern hin.
Vor dem Götterbild, das sie nicht verehrt, sondern beschimpft, trifft Orest auf seine Schwester Elektra. Ellen Kneib spielt das in seinem Hass verhärtete, gedemütigte Mädchen. Als sie den ersehnten Bruder gefunden hat, wandelt sie sich aus der nur hassenden zur hoffenden jungen Frau. Sie bricht mit den Gesetzen und zieht ein weißes Kleid an. Unerbittlich treibt sie den Bruder zum Mord an Mutter und Stiefvater. Orest und Elektra sind die einzigen Figuren in diesem Stück, denen der Autor eine Entwicklung gestattet. Orest wandelt sich vom Bildungstouristen zum Thronerben, der seinen Vater rächt und sein Volk befreit. Larissa Niesen zeigt den jungen Mann, der seine Rolle annimmt, und die notwendige Tat tut. Mit bloßen Händen erwürgt Orest Ägist. Eine erschreckende Szene, die die Regie Larissa Niesen und Helena Wang realistisch ausspielen lässt. Ich kann mich nicht erinnern, Ähnliches im Theaterkeller gesehen zu haben. Das Publikum hält den Atem an. Der Mord an der Mutter wird hinter die Szene gelegt. Die Todesschreie von Marie-Claire Hihn sind nicht weniger erschreckend, als wenn der Mord gezeigt worden wäre. Aber diese Morde sind zu viel für Elektra. Darf sie nach der Tat zuerst die mädchenhafte, liebende Schwester sein, kippt sie in Verzagtheit und endlich in Reue um. Auch hier spielt Ellen Kneib glaubhaft, wie sie sich wieder Jupiter unterwirft. Orest ist jetzt ganz allein. Die Götter sind versucht und die Freiheit gewonnen. Ganz gesammelt erzählt Larissa Niesen die abschließende Rattenfänger-, hier Fliegenfänger- Geschichte und nimmt die Fliegen mit sich. Bei dieser Szene spielen alle Darstellerinnen, auch die der größeren Rollen, das Volk von Argos. Ein schönes Bild für "Ensemble" und den Zusammenhalt der Gruppe.
Großer, langanhaltender, dankbarer Beifall.
Wolfgang Bachtler, Neustadt/Weinstraße
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Mitwirkende
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Materialien
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Zum Inhalt siehe auch:
- Georg Hensel, Spielplan, Schauspielführer von der Antike bis zur Gegenwart,Band 2, Frankfurt am Main, Berlin 1987, S. 1024f - Wikipedia Die Fliegen |
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